Am 13.07.2018 hat Arbeitsminister Hubertus Heil seinen Entwurf über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgestellt. „Entwurf“ heißt, dass der Bundestag den vorgeschlagenen Änderungen zunächst noch zustimmen muss. Während der Gesetzesentwurf in den Ausschüssen des Bundestags und im Parlament verhandelt wird, können sich also noch die ein oder andere Veränderung ergeben.
Rein rechtlich könnt ihr euch noch nicht auf den Entwurf verlassen. Erst wenn das Gesetz tatsächlich vom Bundestag beschlossen ist, sind die Regelungen allgemeingültig. Nichtsdestotrotz habe ich mich dazu entschlossen, den Entwurf einmal genauer zu betrachten und euch über die geplanten Änderungen zu informieren.
Da nicht jede Änderung für jede Person interessant ist, werde ich mehrere Artikel zum Entwurf veröffentlichen, in denen es immer um ein einzelnes großes Thema des Gesetzesentwurfs geht.
Thema des ersten Teils ist:
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich über die Ausweitung der Zurechnungszeit berichtet, die seit Beginn des Jahres 2018 stattfindet und langsam steigende Erwerbsminderungsrenten zur Folge hat.
Die Idee hinter der Zurechnungszeit ist, dass Personen, die aufgrund einer Erwerbsminderung keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung zahlen können, so gestellt werden, als wenn sie bis zu einem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt weiter in die Rentenversicherung eingezahlt hätten.
Wer 2017 die Erwerbsminderungsrente beantragen musste, der wurde bei der Rentenberechnung so gestellt, als wenn er bis zu seinem 62. Lebensjahr Rentenversicherungsbeiträge gezahlt hätte.
Seit 2018 wird der Zeitpunkt, bis zu dem die Beitragszahlung berücksichtigt wird, Jahr für Jahr angehoben. Wie genau die Anhebung erfolgt, könnt ihr in dieser Tabelle sehen:
Anhebung der Zurechnungszeit um | Auf Alter | ||
---|---|---|---|
2018 | 3 Monate | 62 Jahre | 3 Monate |
2019 | 6 Monate | 62 Jahre | 6 Monate |
2020 | 12 Monate | 63 Jahre | |
2021 | 18 Monate | 63 Jahre | 6 Monate |
2022 | 24 Monate | 64 Jahre | |
2023 | 30 Monate | 64 Jahre | 6 Monate |
2024 | 36 Monate | 65 Jahre |
Im neuen Gesetzesentwurf ist nun geplant, die Zurechnungszeit ab dem Jahr 2019 direkt auf 65 Jahre und 8 Monate anzuheben. Sollte das Gesetz also in der Form verabschiedet werden, könnt ihr die obige Tabelle direkt wieder vergessen…
Ab dem Jahr 2020 ist dann geplant, dass die Zurechnungszeit in gleichem Umfang wie die Regelaltersgrenze steigt. Beginnt die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente also im Jahr 2024, wird man bei der Berechnung so gestellt, als wenn man bis zum 66. Lebensjahr gearbeitet hätte, beginnt die Zahlung erst 2031, läuft die Zurechnungszeit bis zum 67. Lebensjahr.
Welche finanziellen Auswirkungen hat die Anhebung der Zurechnungszeit?
In welchem Umfang die Erwerbsminderungsrente durch diese Änderung steigt, kann nicht pauschal beziffert werden. Der Wert der Zurechnungszeit hängt nämlich davon ab, welche durchschnittlichen Beiträge ein Rentenversicherter vor Eintritt der Erwerbsminderung eingezahlt hat.
Beispiel: Bei einem Durchschnittsverdiener erhöht ein Monat Zurechnungszeit die Erwerbsminderungsrente um ca. 2,50 € brutto. Die Anhebung der Zurechnungszeit um 3 Jahre und 5 Monate würde somit bei dieser Personengruppe zu einer um ca. 100 € höheren Brutto-Rente führen.
Bewertung
Eine finanzielle Besserstellung von Erwerbsminderungsrentnern ist grundsätzlich zu befürworten. Gerade im Bereich derjenigen, die eine Erwerbsminderungsrente erhalten, ist die Gefahr besonders groß, Grundsicherungsleistungen beantragen zu müssen.
Es gibt jedoch einen großen Haken:
Nach aktuellem Gesetzeswortlaut werden von der Änderung nur Personen profitieren, deren Erwerbsminderungsrente im Jahr 2019 oder später beginnt. Jeder, der schon eine Erwerbsminderungsrente erhält, geht also leer aus.
„Das ist doch nicht möglich!“ werdet ihr denken.
Ich denke doch: Denn auch bei der Anhebung der Zurechnungszeit zu Beginn des Jahres 2018 hat man nur „Neu-Rentner“ in den Genuss der höheren Renten kommen lassen. Ich würde daher nicht ausschließen, dass auch bei der kommenden Reform, wie geplant, alle „Alt-Rentner“ in den sauren Apfel beißen müssen. Für sie würde dann alles beim Alten bleiben und mit der Reform keinerlei Rentenerhöhung einhergehen.
Diesbezüglich kann man lediglich den weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens abwarten und hoffen, dass der Entwurf nochmal überarbeitet wird, sodass alle Erwerbsminderungsrentner in die Erhöhung der Zurechnungszeit einbezogen werden.
Muss ich denn aktuell schon irgendetwas berücksichtigen?
Auch wenn das Gesetz noch nicht verabschiedet ist, sollten sich all jene Gedanken machen, die vor der Frage stehen, ob sie eine Erwerbsminderungsrente beantragen oder nicht.
Um in den Genuss der höheren Zurechnungszeit zu kommen, ist – nach aktuellem Entwurf – nicht relevant, wann die Erwerbsminderung eingetreten ist, sondern lediglich, wann die Zahlung der Erwerbsminderungsrente beginnt.
Durch geschicktes Aufschieben des Rentenantrags lässt sich daher unter Umständen erreichen, dass die Rentenazhlung erst im Jahr 2019 beginnt und man dementsprechend von der Neuregelung profitieren würde.
Wann darf der Antrag frühestens gestellt werden?
Vereinfacht gesagt beginnt die Erwerbsminderungsrente immer in dem Monat, in dem sie beantragt wurde. Wurde der Antrag innerhalb einer Frist von drei Kalendermonaten nach Eintritt der Erwerbsminderung gestellt, beginnt die Rentenzahlung immer im Monat nach Eintritt der Erwerbsminderung (Beispiel im Beitrag zur Ausweitung der Zurechnungszeit).
Ist eure Erwerbsminderung im September 2018 oder früher eingetreten, dürft ihr den Antrag frühestens im Januar 2019 stellen. Der Rentenbeginn wäre infolgedessen mindestens der 01.01.2019.
Ist die Erwerbsminderung hingegen im Oktober oder November 2018 eingetreten, solltet ihr euch an folgenden Daten orientieren:
Eintritt Erwerbsminderung | Antrag frühestens ab | Rentenbeginn |
---|---|---|
Oktober 2018 | Februar 2019 | 01.02.2019 |
November 2018 | März 2019 | 01.03.2019 |
Stellt ihr den Antrag früher als in der Tabelle angegeben, könnte der Rentenbeginn unter Umständen noch in das Jahr 2018 fallen. Hieraus würde wiederum resultieren, dass die Zurechnungszeit nur bis zum 62. Lebensjahr und 3 Monaten berücksichtigt wird und die Rentenzahlung beachtlich geringer ausfallen würde.
Bei einem Eintritt der Erwerbsminderung im Dezember 2018 oder später, wird der Rentenbeginn auf jeden Fall im Jahr 2019 liegen, sodass ihr voraussichtlich in den Genuss der höheren Rentenzahlung kommen würdet.
Mir ist klar, dass viele Personen nicht die Möglichkeit haben, den Rentenantrag so frei zu stellen, wie ich es oben beschrieben habe. Wer von der Krankenkasse oder der Agentur für Arbeit aufgefordert wurde, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu beantragen, kommt um einen Antrag nicht herum. Alle anderen aber, die noch Gestaltungsoptionen haben, können sich ja mal Gedanken machen…
Soweit zu den im Gesetzesentwurf vorgesehenen Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner.
Im zweiten Teil geht es um die Anerkennung des dritten Jahres der Kindererziehungszeit für vor 1992 geborene Kinder gehen.
Habt ihr Fragen? Schreibt gerne in die Kommentare oder meldet euch per Facebook oder Twitter.
Hallo rentenfuchs,
mit Begeisterung habe ich einen Großteil Deiner Beiträge gelesen und als äußerst hilfreich empfunden. Die beste Rentenseite überhaupt, ich habe dadurch viel verstanden und auch schon Anträge gestellt (Klärung Rentenkonto, Nachzahlung Ausbildungszeiten). Tausend Dank.
Eine ganz konkrete Frage habe ich zur Berechnung der Erwerbsminderungsrente, die mir auch nach drei Beratungen bei der RV keiner beantworten konnte (oder wollte):
Aufgrund eines bisher hohen Verdienstes nahe der Beitragsbemessungsgrenze habe ich einen hohen Anspruch an die Erwerbsminderungsrente. Diesen Anspruch möchte ich erhalten, man weiß ja nie.
Derzeit arbeite ich nicht, sondern lebe von einer Abfindung und reise viel. ALG 1 Anspruch habe ich beschieden bekommen. Ich habe dank deiner Erklärungen verstanden, dass freiwillige Beiträge für die Höhe, aber nicht für die versicherungsrechtliche Mindestzeit (3 von 5 Jahren) gilt. Daher habe ich mich zwischen den Reisen immer mal wieder bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet und dann wieder abgemeldet. So dass zwischendrin immer wieder mal Monate als Pflichtversicherungsmonate zählen. Das hat auch gut geklappt.
Nun meine konkrete Frage:
Um das ALG 1 möglichst lange zu strecken, habe ich mich teilweise an einem 29. eines Monats, bzw 2. eines Monats an/abgemeldet. Für diese Monate kann ich ja keine weiteren Einzahlungen tätigen, da sie als Pflichtversicherungsmonate zählen. Ich habe natürlich in den Monaten dann nur sehr niedrige Beiträge. Wenn ich das nun zu häufig mache, rauscht dann mein Durchschnittsentgelt runter oder werden diese Monate irgendwie ‚rausgerechnet‘? Falls es zählt: kann ich das irgendwie berechnen, was das an Euros ungefähr ausmacht?
Mein Versicherungskonto habe ich inzwischen geklärt.
Oder einen Tipp, wie ich da an einen Profi in der RV komme der mir das ausrechnen kann? Hotline & Videoberatung konnten mir diese Frage nicht genau beantworten.
Tausend Dank.
Nachtrag: nachdem ich dein Youtube-Video zur Berechnung der EM Rente gesehen habe, anbei ein Versuch der Berechnung meinerseits:
Man teilt die bisherigen Jahre (hier: 23,75 – ohne Anwartschaftszeiten) durch die erdienten Entgeltpunkte (hier 33,8). Ergibt nette 1,42 Entgeltpunkte im Durchschnitt pro Jahr. Das wiederum rechne ich dann hoch bis zum Rentenalter: hier noch 22 Jahre, macht 34,15 Zurechnungszeitrentenpunkte für die Erwerbsminderungrente. Lande ich bei knapp 2400€ potentieller EM Rente.
Wenn ich jetzt wissen will, welchen Einfluss beispielhafte 6 Monate haben, bei denen fast keine Rentenbeiträge gezahlt werden, da ich nur wenige Tage ALG1 beziehe: dann rechne ich mal vereinfacht 0,5 Jahre zu den 23,75 Jahren dazu, und ziehe diese wiederum bei den 22 Jahren ab. Das wären dann ungefähr 50€ Unterschied.
Passt das so ungefähr oder habe ich mich grandios verrechnet?
Am besten wäre es natürlich, wenn die ALG1 Zeiten nicht mit in die Anfangsjahre reinzählen…
Tausend Dank
Hallo Rentenfuchs,
ich habe eine Frage wegen teilweiser EM-Rente.
Ich (60,5 Jahre alt) befinde mich derzeit im Krankengeldbezug. Eventuell ab 2023 wieder im ALG1 Bezug. Jeweils mit ca. 12 Monaten Restanspruchsdauer.
Ich überlege, einen EM Rentenantrag zu stellen, mit dem Risiko, dass es nur eine teilweise EM-Rente, dazu auch nur eine befristete Rente, sein könnte. Was für meinen Lebensunterhalt zu niedrig wäre.
Bekomme ich dann im Gegenzug noch ein halbes Krankengeld, bzw. ein halbes ALG1, als Aufstockung, bis zum Ende der Restanspruchsdauer? ALG2 / Hartz4 ist bei mir nicht möglich.
In zweieinhalb Jahren könnte ich dann eine Schwerbehindertenrente (dann 63 Jahre alt, mit GdB50, und 40 Jahre Wartezeit) beantragen.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Claus Müller
Durch einen Wegeunfall bin ich seit Okt. 21 Au. Panikattacken, Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen begleiten mich seit dem. Aber, auch den Druck im Nacken, irgendwann wieder arbeiten gehen zu müssen und den Leistungen in der Schule, als Lehrkraft, nicht mehr gerecht zu werden, bringt mich zum Überlegen in die Erwerbsminderungsrente zu gehen. Das könnte mir helfen, um wenigstens meinen Alltag wieder in den Griff zu bekommen. Die Angst bei den Kindern in der Schule zu versagen, wird immer größer. Diagnose wurde bisher auf Depression, Angst- Schlafstörungen, Antriebslosigkeit ausgestellt. Habe ich eine Chance bei Antragstellung? Ich bin 58 Jahre alt. Die Grundbedingungen habe ich erfüllt.
Vielen Dank!
Da ich kein Mediziner bin, kann ich dies leider nur schwer beurteilen. Vor einer Antragsstellung sollten Sie sich auf jeden Fall damit auseinandersetzen, welche Auswirkungen die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente auf Ihr Arbeitsverhältnis hat. Vermutlich ruht dieses, sofern eine befristete Erwerbsminderungsrente gewährt wird – was ich für wahrscheinlich halte. Sollte die Erwerbsminderungsrente jedoch auf Dauer gewährt werden, endet hiermit voraussichtlich auch das Arbeitsverhältnis.
EINTRITT ERWERBSMINDERUNG ANTRAG FRÜHESTENS AB RENTENBEGINN
Oktober 2018 Februar 2018 01.02.2018
November 2018 März 2018 01.03.2018
Sollte bei Antrag ab und Rentenbeginn nicht 2019 stehen?
Danke für ihre gelungenen Beiträge.
Claus Müller
Sie haben vollkommen recht! Vielen Dank für den Hinweis; ist korrigiert.
Ich bin 1962 geboren und beziehe seit 2014 Teilerwerbsminderungsrente und arbeite noch. Nun bin ich unheilbar krank (100% gdb und G) es fählt mir schwer zu arbeiten. Ist es möglich ohne Abschläge volle Erwerbsminderungsrente zu erhalten ??. LG
Wenn sich der gesundheitliche Zustand verändert hat, können Sie bei der Rentenversicherung einen Antrag auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung stellen. Die Rentenversicherung prüft dann, ob die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind und wandelt die Teilerwerbsminderungsrente gegebenenfalls in eine Vollerwerbsminderungsrente um.
Ich habe eine Frage zur Erwerbsminderungsrente.
Wenn jemand im Moment seit 2016 eine Teilerwerbsminderungsrente bezieht aber durch seinen Gesundheitszustand gezwungen ist irgendwann im Jahre 2019 die volle Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Werden dann die neuen Regelungen für die volle Erwerbsminderungsrente zur Berechnung verwendet oder bleibt für diese Person alles beim alten?
Hallo Herr Schmitt,
eine durchaus interessante Frage, die sich allein aus dem Gesetzestext nicht beantworten lässt. Zieht man ergänzend die rechtlichen Arbeitsanweisungen des Rentenversicherungsträgers heran, findet man folgende Erläuterung:
„Tritt vor Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten zu einer Rente mit Zurechnungszeit eine weitere Rente mit Zurechnungszeit hinzu oder folgt auf eine Rente mit Zurechnungszeit eine weitere solche Rente, wird der Umfang der Zurechnungszeit bei der weiteren Rente so bestimmt, als ob zuvor noch keine Rente mit Zurechnungszeit bezogen worden wäre.“
Tatsächlich handelt es sich bei der Bewilligung einer Vollerwerbsminderungsrente um eine weitere Rente die neben die Teilerwerbsminderungsrente hinzutritt, sodass dann die in dem Jahr maßgeblichen Regelungen gelten, in dem die Vollerwerbsminderungsrente beginnt.
Zusammengefasst: Sollte das Gesetzespaket verabschiedet werden und die Umwandlung in die Vollerwerbsminderungsrente im kommenden Jahr erfolgen, würden Sie von der Ausweitung der Zurechnungszeit profitieren.